Krafttraining
Innerhalb der Kategorie Langfristiger Leistungsaufbau werden die wissenschaftlichen Begründungen für die praktischen Trainingsempfehlungen im Bereich des Krafttrainings gegeben. Neben der Begriffsdefinition wird auf die besonderen Gegebenheiten des Krafttrainings im Nachwuchsleistungssport eingegangen. Hieraus abgeleitete Trainingsinhalte sowie beispielhafte Trainingspläne befinden sich im Bereich der jeweiligen Ausbildungsetappen.
Definition: motorische Fähigkeit Kraft
Die Literaturanalyse zeigt, dass unterschiedliche Modelle zur Strukturierung des Kraftverhaltens existieren (Bös & Mechlin, 1983; Fetz, 1980; Haare, 1973; Hollmann & Hettinger, 2000; Letzelter, 1982; Letzelter, 1971; Martin, 1977; Weineck, 2000; Werchoshanskij & Tatjan, 1975; Zatsiorskij, 1972). Die grundlegenden Erscheinungsformen der Kraft sind die Maximalkraft, die Schnellkraft, die Kraftausdauer und das reaktive Kraftverhalten. Im Rahmen dieser Modelle wurden Strukturmodelle anhand von unterschiedlichen Größen, wie biologischen und sportmedizinischen Gesichtspunkten, entwickelt. Letzelter (1982) nimmt Unterteilungen “in Bewegungsklassen“ vor, denen jeweils eigene Kraftdimensionen zugeteilt werden. Diese definieren sich in Einteilungen wie Stoß-, Zug- und Wurfkraft. Grundlegend handelt es sich bei dieser Einteilung um eine Klassifizierung von Bewegungsfertigkeiten, wenngleich für deren Entwicklung die Kraft in hohem Maße grundlegend ist (Schmidtbleicher, 2003; Wirth, 2010). Diese Betrachtungsweise hat allerdings den Nachteil, dass sie eine Unterscheidung von konditionellen und koordinativen Einflüssen, die zum Bewegungserfolg beitragen, nicht zulässt. Nett (1967) strukturierte die Kraft in Subkategorien. Es werden die Maximalkraft, die Schnellkraft und die Kraftausdauer als drei Erscheinungsformen der Kraft unterschieden – diese befinden sich hierarchisch auf der identischen Stufe (Nett, 1967). Auf Basis dieser Einteilung kann gefolgert werden, dass die Erscheinungsformen unabhängig voneinander trainiert werden können; theoretisch lassen sich eindeutige Ziele für den Trainingsprozess ableiten. Die Einteilung von Nett (1967) berücksichtigt jedoch nicht Wechselwirkungen zwischen den Erscheinungsformen.
Schmidtbleicher (1984) schlägt daher vor, die Erscheinungsformen der Kraft nicht hierarchisch auf einer Ebene anzusiedeln. Durch eine Vielzahl von Studien kann belegt werden, dass Veränderungen der Maximalkraft einen direkten Einfluss auf die Schnellkraft (u.a. Arabatzi, et al., 2010; Augustsson et al., 1998; Chelly et al., 2009; Christou et al., 2006; Hartmann et al., 2012; Kotzamanidis et al., 2005; Lamont et al., 2009; Lockie et al., 2012; Maio Alves et al., 2010; Moss et al., 1997; RØnnestad et al., 2008; RØnnestad et al., 2011; Wirth, 2006/07) und die Kraftausdauer (u.a. Dorgo et al., 2009; Naclerio et al., 2009) haben. Schmidtbleicher (1984, 2003) benennt die Maximalkraft daher als Basisfähigkeit. Der Ausprägungsgrad von Schnellkraft und Kraftausdauer wird u. a. von der Maximalkraft bestimmt (Bührle, 1985; Bührle & Schmidtbleicher, 1981). Daher ist es international anerkannt, dass die Maximalkraft die Basisgröße aller anderen Erscheinungsformen der Kraft darstellt.
Maximalkraft
Die Maximalkraft wird als die höchste Kraft verstanden, die das neuromuskuläre System bei einer maximalen willkürlichen Kontraktion erzeugen kann (Güllich & Schmidtbleicher, 2000). Durch eine maximale willkürliche Kontraktion können nicht alle motorischen Einheiten zeitgleich aktiviert werden. Somit repräsentiert der unter diesen Bedingungen ermittelte Maximalkraftwert nicht die maximale Kraft die das neuro-muskuläre System entfalten kann, sondern nur den Teil, welcher von den Fähigkeiten des jeweiligen Individuums abhängt, sein muskuläres Potential auszuschöpfen (Wirth et al., 2012)
In der Literatur wird zwischen statischer und dynamischer Maximalkraft unterschieden (Hollmann & Hettinger, 2000; Letzelter, 1982). Viele Untersuchungen zeigen einen mittleren bis hohen Zusammenhang zwischen der statischen und dynamischen Maximalkraft (Ahtiainen et al., 2003; Baker et al., 1994; Berger & Henderson 1966; Bührle & Schmidtbleicher, 1981; Murphy et al., 1994; Wirth, 2007). Die dynamische Maximalkraft wird als die höchste Last ermittelt, die unter definierten Arbeitsbedingungen einmal gehoben werden kann (Schmidtbleicher, 1984). Sie wird auch als Einer-Wiederholungs-Maximum (1RM) bezeichnet. Die statische Maximalkraft wird bei unüberwindlichem Widerstand dynamometrisch gemessen und ist meist höher als die dynamische Maximalkraft (Müller, 1987). Es ist zu beachten, dass beim Bewältigen des 1RM eine wesentlich höhere Anforderung an die Koordination gestellt wird als bei der Messung der isometrischen Maximalkraft. So wird bei z.B. Langhantelübungen, wie der tiefen Kniebeuge oder beim Bankdrücken, zusätzlich Kraft dafür benötigt, die Hantel zu stabilisieren und größere horizontale Bewegungen zu vermeiden (Lander et al., 1985; Müller, 1987). Werden die koordinativen Anforderungen so weit wie möglich reduziert, ist die dynamische Maximalkraft nur noch geringfügig niedriger als die isometrische (Bührle, 1985).
Ergänzend muss noch auf die exzentrische Maximalkraft eingegangen werden. Sie beschreibt einen maximal kontrahierten Muskel, der entgegen seiner Arbeitsrichtung gedehnt wird (Wirth, 2010). Bei der exzentrischen Maximalkraft handelt es sich um die maximale Last, die einmal unter muskulärer Kontrolle abgelassen werden kann (Wirth, 2010).
Die vollständige Aktivierung eines Muskels ist nur unter intensiver elektrischer Stimulation zu erreichen. Hierbei ist es möglich, das gesamte in der Muskelmasse angelegte Kraftpotenzial in den Kontraktionsvorgang einzubringen. Dies wird als Absolutkraft bezeichnet (Güllich & Schmidtbleicher, 2000).
Die Maximalkraft wird durch den Muskelquerschnitt, die Muskelfaserzusammensetzung, die Muskelfaserausprägung, neuronale Faktoren (inter- und intramuskuläre Koordination), die Muskel-Sehnen-Elastizität, die Muskellänge und anthropometrisch-biomechanische Faktoren beeinflusst (Schmidtbleicher, 2003). Der Zusammenhang zwischen Muskelquerschnitt bzw. Muskelmasse und Maximalkraft ist durch entsprechende Studien belegt (Alway et al., 1990; Brechue & Abe, 2002; Fukunaga et al., 2001; Ikegawa et al., 2008; Kawakami et al., 1993; Wirth et al., 2014).
Schnellkraft
In vielen Sportarten ist es von entscheidender Bedeutung, den eigenen Körper (z. B. Sprint, Sprung), ein Sportgerät (z. B. Fußball, Speer, Kugel) oder den Gegner (Zweikampfsportarten) mit dem Ziel einer hohen Endgeschwindigkeit maximal beschleunigen zu können. Somit ist Schnellkraft die Fähigkeit des neuromuskulären Systems innerhalb eines vorgegebenen Zeitfensters einen möglichst großen Kraftimpuls zu produzieren (Schmidtbleicher, 2003).
Die Schnellkraft setzt sich aus Startkraft, Explosivkraft und Maximalkraft zusammen. Startkraft ist die Fähigkeit, in den ersten 20 bis 30 ms der Muskelkontraktion (Beginn einer Muskelaktivität) einen hohen Kraftanstieg zu erzielen. Als Explosivkraft wird die Fähigkeit beschrieben, einen begonnenen Kraftanstieg (Startkraft) maximal weiterzuentwickeln (Wirth et al., 2012). Je kürzer der Beschleunigungsweg und die zur Verfügung stehende Zeit einer Bewegung sind, desto größer ist der Einfluss von Start- und Explosivkraft (Martin et al., 1993).
Kraftausdauer
Der Begriff Kraftausdauer bezeichnet die Fähigkeit des neuromuskulären Systems, eine möglichst große Kraftstoßsumme in einer gegebenen Zeit gegen höhere Widerstände zu produzieren (Schmidtbleicher, 2003). Damit setzt sich die Kraftausdauer aus der Größe des Einzelkraftstoßes, sowie der Fähigkeit die Reduktion der Einzelkraftstöße möglichst gering zu halten zusammen (Ermüdungswiderstandsfähigkeit) (Schmidtbleicher, 2003). Die Beurteilung von Kraftausdauerleistungen ist auf Grund der Vielzahl an Einflussfaktoren schwierig. Nach Wirth und Mitarbeitern (2012) setzt sich die Kraftausdauerleistung aus den folgenden Komponenten zusammen:
- Höhe des Krafteinsatzes pro Muskelkontraktion
- Schnelligkeit des Krafteinsatzes pro Muskelkontraktion
- Dauer der Krafteinsätze pro Muskelkontraktion
- Frequenz der Krafteinsätze
- Anzahl der Muskelkontraktionen bzw. Dauer der Muskelkontraktionen bei statischer Arbeitsweise
- Arbeitsweise der Muskulatur
- Belastete Muskelgruppe (Faserverteilung/Enzymbesatz)
- Menge der involvierten Muskelmasse
Rein definitorisch sollte bei Kraftausdauerleistungen die Kraftkomponente und nicht die Ausdauerkomponente dominant sein. Im Falle einer Dominanz der Ausdauerkomponente darf nicht von Kraftausdauer gesprochen werden. Es handelt sich vielmehr um eine „Ausdauerleistung mit hoher Intensität bzw. hohem Krafteinsatz“. Diese Differenzierung (Abgrenzung zwischen Kraft- und Ausdauertraining) ist dringend notwendig, um in der Trainingsplanung die richtige Wahl der Trainingsmethodik vornehmen zu können (Soll die Kraft oder die Ausdauer dominant trainiert werden?).
Zur Differenzierung zwischen Kraftausdauer- und reinem Ausdauertraining empfiehlt es sich, zwei Minuten als zeitliche Obergrenze für Kraftausdauerbelastungen zu definieren (Wirth et al., 2012). Es ist davon auszugehen, dass die ATP-Produktion (Adenosintriphosphat) nach spätestens zwei Minuten (bei hoher Belastungsintensität) zu gleichen Teilen über den aeroben und anaeroben Stoffwechsel erfolgt (Hollmann & Hettinger, 2000; Spriet, 2006). Ein Fortsetzen der Arbeit führt zwangsläufig zu einem Übergewicht aerober Stoffwechselanteile und sollte damit dem Ausdauertraining zugeordnet werden. Des Weiteren müssen die Krafteinsätze über 50% der individuellen Maximalkraft liegen um das Training als Kraftausdauertraining einzuordnen (Schmidtbleicher, 2003). Die Mindestintensität von 50% begründet sich damit, dass in diesem Fall (50% des 1 RM) ein kompletter Gefäßverschluss vorliegt und die Stoffwechsellage dadurch dominant anaerob ist.
Es kann grundsätzlich von einem hohen Zusammenhang zwischen der Maximalkraft und der Kraftausdauer ausgegangen werden (Dorgo et al., 2009; Naclerio et al., 2009). Dieser ist umso höher, je näher die aufzubringende Kraft am individuellen Maximalkraftniveau liegt (Güllich & Schmidtbleicher, 2000). Folglich konnten Komi und Kollegen (1978) nach einem Krafttraining mit hohen Lasten eine Verbesserung der maximalen Haltezeit einer Last (50% bis 60% der Maximalkraft des Eingangstests) messen. Auch Campos und Kollegen (2002) konnten zeigen, dass mit einem Hypertrophietraining der Übung Kniebeuge, die Anzahl der möglichen Wiederholungszahlen bei 60% des 1RM signifikant gesteigert werden konnte. Bei den aufgeführten Studien konnten nach der Trainingsintervention zusätzlich gesteigerte Maximalkraftleistungen beobachtet werden.
Dementsprechend stellt die Maximalkraft die Basisgröße für die Kraftausdauerleistungsfähigkeit dar (Schmidtbleicher, 1984).
Krafttraining im Nachwuchsleistungssport
Es ist unbestritten, dass die Entwicklung der Maximalkraftfähigkeiten eine entscheidende Bedeutung im langfristigen Leistungsaufbau in einer Vielzahl von Sportarten hat (u. a. Faigenbaum et al., 2016). Jedoch ist das Krafttraining im Kindes- und Jugendalter ein in der Vergangenheit häufig zu rudimentär behandeltes Thema (besonders im deutschsprachigen Raum). Dies resultiert möglicherweise aus der unbegründeten Angst vor Verletzungen und dem (auch unbegründeten) Zweifel an der Wirksamkeit von Krafttraining für Kinder vor- und während der Pubertät. Dementsprechend mangelt es an einer adäquaten Übersicht über Inhalte, Methoden, Belastungsumfänge und Belastungsintensitäten des Krafttrainings für die einzelnen Ausbildungsstufen. Allerdings ist die systematische Ausbildung der relevanten Techniken und Kraftfähigkeiten ab dem Kindesalter für einen langfristigen Leistungsaufbau unabdingbar und stellt auch die zwingend notwendige Grundlage für das spätere Training im Hochleistungsbereich dar (Behringer et al., 2010; Faigenbaum et al., 2013, 2016; Hartmann et al., 2010; Wirth et al., 2012a).
Die Gefahr, dass ein altersgerechtes Krafttraining mit Kindern und Jugendlichen gefährlich oder schädigend ist, kann aus Sicht der Wissenschaft eindeutig ausgeschlossen werden (u. a. Hartmann et al., 2010; Faigenbaum & Meyer, 2010; Faigenbaum et al., 2013; Lloyd et al., 2013). Demzufolge ist das Krafttraining für Kinder und Jugendliche ein bedeutsamer Bestandteil dieser Konzeption. Folgend soll ein theoretischer Überblick der relevanten biologischen Mechanismen gegeben werden, auf denen die in den Trainingsetappen dargelegten Empfehlungen für Trainingsinhalte und die praktische Eingliederung basieren.
Wachstum, Körperzusammensetzung und Knochenwachstum
Bis zu einem Alter von ca. 9 Jahren herrscht eine überwiegende Deckungsgleichheit der Wachstumsgeschwindigkeit bei Mädchen und Jungen. Die präpubertäre Wachstumsphase dauert bei Jungen in etwa bis zum 11. Lebensjahr und somit ca. 3 Jahre länger als bei Mädchen. Aus dem früher auftretenden pubertären Wachstumsschub der Mädchen resultiert zwischen dem 9. und 14. Lebensjahr eine durchschnittlich höhere Körpergröße im Vergleich zu den Jungen (Veldhuis et al., 2005). Mit dem 15. Lebensjahr ist bei Mädchen im Durchschnitt 99 % der Erwachsenengröße realisiert (Largo & Prader, 1987). Aufgrund der längeren vorpubertären Wachstumsphase ist dies bei Jungen circa 3 Jahre später zu erwarten, wodurch sich auch der endgültige Größenunterschied sowie die ungleiche Muskelentwicklung zwischen den Geschlechtern erläutert (Hartmann et al., 2010). Diese nicht lineare Entwicklung der allgemeinen Wachstumsprozesse sollte für die Beurteilung und das Monitoring der Muskelkraft im Krafttraining mit Heranwachsenden stetig als Grundlage beachtet werden (Lloyd et al., 2013).
In Bezug auf die Körperzusammensetzung kommt es mit Beginn der Pubertät bei beiden Geschlechtern zu einer deutlichen Zunahme der fettfreien Körpermasse, wobei der Anstieg bei den Jungen deutlich höher ausfällt und sich über eine längere Zeitspanne zieht (Hartmann et al., 2010). Bei Mädchen ist dieser Vorgang circa mit dem 16. Lebensjahr und bei Jungen bis zum 20. Lebensjahr vollendet (Rogol, 2003; Veldhuis et al., 2005). Hinsichtlich des prozentualen Fettanteils an der Gesamtkörpermasse liegt dieser bei Mädchen am Ende der Pubertät aufgrund des hormonellen Einflusses fast doppelt so hoch wie bei Jungen (Hartmann et al., 2010).
Das Knochenwachstum und eine damit einhergehende erhöhte Widerstandsfähigkeit entsteht durch eine ansteigende Mineralisierung des Knochengewebes, welche simultan zum Größenwachstum verläuft (Hartmann et al., 2010). Der Mineralgehalt des Knochengewebes wird wiederum entscheidend durch die Muskelentwicklung beeinflusst (Hartmann et al., 2010; Rauch et al., 2004). Im Entwicklungsverlauf ist die Knochenwachstumsphase bei Mädchen im Alter von circa 16 Jahren und bei Jungen im Alter von 20 Jahren abgeschlossen (Hartmann et al., 2010). Weitere wichtige Einflussfaktoren auf ein ideal entfaltetes Knochenwachstum sind Ernährung, Hormone und Genetik (Hartmann et al., 2010). Dass Krafttraining negative Auswirkungen auf das Knochenwachstum hat und möglicherweise schädigend ist, wurde hinreichend widerlegt (Faigenbaum & Meyer, 2010; Falk & Eliakim, 2003; Lloyd et al., 2013). Darüber hinaus sind positive Effekte eines Krafttrainings bei Kindern auf die Entwicklung der Knochendichte bewiesen (Conroy et al., 1993; Naughton et al., 2000; Zauner et al., 1989).
Zusammenfassend zeichnet sich das Kindesalter als eine optimale Phase ab, um das Wachstum der Knochenmasse als auch die Knochenstruktur positiv durch Krafttraining zu beeinflussen (Bass et al., 2008; Hartmann et al., 2010; Lloyd et al., 2013; Vicente-Rodriguez, 2006). Dabei haben Trainingsformen mit hohen mechanischen Belastungen (Krafttraining) nachweislich größere Auswirkungen auf das Wachstum der Knochenmasse als Aktivitäten mit geringeren mechanischen Belastungen (Schwimmen, Laufen, etc.) (Bass et al., 2008; Hartmann et al., 2010; Roelofs et al., 2017). Weiterhin ist die Muskelkraft einer der bedeutendsten mechanischen Reize für die Entwicklung des Knochengewebes und der Knochenquerschnittsfläche (Hartmann et al., 2010; Rauch et al., 2004). Zusätzlich gibt es keinen wissenschaftlichen Anhaltspunkt, der eine negative Auswirkung von Krafttraining auf die resultierende Körpergröße im Erwachsenenalter belegt (Behringer et al., 2010; Falk & Eliakim, 2003; Malina, 2006; Wirth et al., 2012a).
Hormonsystem
Ein weiterer wichtiger Faktor im Zuge der Kraftentwicklung von Heranwachsenden ist der hormonelle Einfluss. Hierbei sind unter anderem das Wachstumshormon HGH, der insulinähnliche Wachstumsfaktor IGF-1 sowie Testosteron von besonderer Bedeutung (Llyod et al., 2013). Vor der Pubertät weist HGH schon die typischen Sekretionsfrequenzmuster auf, jedoch ist die Konzentration im Blut aufgrund der noch verminderten Sekretionsamplitude vergleichsweise gering (Hartmann et al., 2010). Mit Beginn der Pubertät nimmt die HGH- sowie die IGF-1-Konzentration im Blut deutlich zu (Behringer et al., 2010). Hier ist darauf hinzuweisen, dass IGF-1 als elementare Einflussgröße auf das Muskelgewebe anzusehen ist, indem es neben der Potenzierung der Proteinsynthese auch die Proliferation von Satellitenzellen aktiviert und somit eine mögliche Hypertrophie oder Hyperplasie hervorrufen kann (Wilmore et al., 2008). Die Testosteronkonzentration erhöht sich ebenfalls mit Beginn der Pubertät und steigt bei Jungen bis zur späten puberalen Phase auf das bis zu 20-fache ihres Ausgangswertes an (De Ste Croix, 2007). Ein Zuwachs der Testosteronkonzentration konnten Blimkie & Sale (1998) auch bei Mädchen ermitteln, wenngleich dieser Anstieg im Vergleich zu den Jungen deutlich geringer ausfällt.
Insgesamt lässt sich festhalten, dass Testosteron nach der Übersichtsarbeit von Behringer und Mitarbeitern (2010) nach wie vor als übergeordneter Stimulator für anabole Prozesse im Muskel gilt und demzufolge die elementarste hormonelle Geltungsgröße für die Muskelkraftentwicklung im Wachstumsprozess darstellt. Dennoch sei hier auf die erwähnte anabole Wirkung der Wachstumshormone hingewiesen, welche – wie auch Testosteron – bereits in der präpuberalen Phase in geringerer Konzentration vorhanden sind. Dementsprechend ist (unter Berücksichtigung des Hormonsystems) Krafttraining bereits vor der Pubertät erfolgreich einsetzbar.
Trainierbarkeit
Der Begriff Trainierbarkeit steht für die Sensitivität der Entwicklung eines Athleten auf einem vorliegenden Trainingsreiz. Hierbei soll die Frage geklärt werden, ob ein Krafttraining zur Leistungsverbesserung von Kindern und Jugendlichen führt. Allen voran sei an dieser Stelle auf die zwingende Notwendigkeit einer korrekten Übungsausführung, respektive einer hohen Bewegungsqualität im Training hingewiesen, welche als Grundlage für die folgend aufgeführten Trainingseffekte und Anpassungen angesehen werden muss. In Bezug auf die relativen maximalen Kraftzuwächse pro Woche lassen sich in allen Entwicklungsstufen ähnliche Raten wie bei Erwachsenen feststellen (Behringer et al., 2010). Die größten Kraftverbesserungen zeigen sich zu Beginn der Trainingsphase. Es bestehen sogar leichte Tendenzen von einer – relativ gesehen – besseren Trainierbarkeit von präpubertären Kindern verglichen mit Jugendlichen in der Adoleszenz oder Erwachsenen (Behringer et al., 2010; Granacher et al., 2016; Menzi et al., 2007). In der angesprochenen Entwicklungsstufe lassen sich überdies auch keine geschlechtsspezifischen Unterschiede der Kraftzuwächse eruieren. In der Pubertät bestehen derzeit noch keine gesicherten Aussagen über mögliche Geschlechtsunterschiede in Anbetracht der relativen Kraftzuwächse (Hartmann et al., 2010). Um die Frage nach der Wirksamkeit von Krafttraining mit Kindern und Jugendlichen darüber hinaus zu beantworten, dient u.a. eine Übersichtsarbeit von Matos und Winsley (2007). Unter Hinzunahme einer Vielzahl an Studien konnten hierbei Zuwachsraten der Muskelkraft von 13 bis 30% in Folge von Krafttraining mit Kindern ermittelt werden. Im Vergleich hierzu lagen die Zuwächse infolge von anaeroben Ausdauertraining bei 3 bis 10% (mean power) bzw. bei 4 bis 20% (peak power). Die Steigerungsrate der VO2max betrug nach aerobem Ausdauertraining im Mittel etwa 5%. Der Mythos über die Ineffektivität von Krafttraining mit Kindern im Vergleich zur Trainierbarkeit anderer konditioneller Fähigkeiten ist demnach völlig unbegründet. Diese Aussage wird des Weiteren durch eine Vielzahl an Übersichtsarbeiten unterstützt, in denen das Krafttraining als wirkungsvolle Methode angesehen wird, um die maximale Muskelkraft von Kindern und Jugendlichen in allen Altersbereichen zu entwickeln und zu steigern (Behringer et al., 2010; Granacher et al., 2016; Hartmann et al., 2010; Lloyd et al., 2015). An Hand einer Meta-Analyse (Einbezug von 43 Studien) von Lesinski und Kollegen (2016) wurden Belastungsnormative von einer mehr als 23-wöchigen Trainingsperiode, mit 5 Sätzen pro Übungen á 6-8 Wiederholungen, einer Intensität von 80-89% des 1 RM und einer Pausenzeit von 3 bis 4 Minuten zwischen den Sätzen als am effektivsten im Krafttraining mit Heranwachsenden konstatiert. Um also die Leistungsfähigkeit von Kindern und Jugendlichen langfristig zu steigern sind – bei ausreichender Eingewöhnung und hoher Bewegungsqualität – Übungen mit hohen Spannungsreizen zwingend notwendig.
Abschließend soll auf die beschriebene Trainingsmethodik eingegangen werden. Häufig werden besonders im Kinder- und Jugendbereich Übungen mit dem eigenen Körpergewicht durchgeführt. Im Sinne eines langfristigen Leistungsaufbaus können jedoch Übungsformen mit dem eigenen Körpergewicht ein Training mit freien Gewichten (Grundübungen) nicht ersetzen (Hartmann et al., 2010). Darüber hinaus ist die Belastungsdosierung anhand von freien Gewichten viel präziser zu steuern (Wirth et al., 2012a). Ist eine beständige Entwicklung der Muskelkraft als Ziel definiert, ist das angepasste Training mit freien Gewichten, u.a. aufgrund der hohen Anforderung an Stabilität und Koordination, auch mit Heranwachsenden die belegbar effizienteste Methode (Faigenbaum et al., 2013; Faigenbaum, 2017; Granacher et al., 2016).
Adaptation
Die Vergrößerung des Muskelquerschnitts in und nach der puberalen Phase in Folge von Krafttraining ist unumstritten (Faigenbaum et al., 2013; Hartmann et al., 2010). Es bestehen allerdings auch Hinweise auf eine krafttrainingsinduzierte Muskelhypertrophie bei Kindern vor der Pubertät (Behringer et al., 2010; Fukunaga et al., 1992; Matos & Winsley, 2007; Mersch & Stoboy, 1989). Dabei ist zu beachten, dass erst nach mehreren Monaten Hypertrophieeffekte auf die Skelettmuskulatur zu erwarten sind (Wirth et al., 2012a). Dieser Aspekt wird in der Trainings- und Untersuchungsmethodik häufig vernachlässigt und führt dementsprechend zu Fehlinterpretationen der Trainingsfortschritte und Untersuchungsergebnisse (Behringer et al., 2010; Faigenbaum, 2003; Hartmann et al., 2010). Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass in der präpuberalen Phase ein erhöhtes neuromuskuläres Anpassungspotential über einen längeren Zeitraum zu Kraftzuwächsen führt und somit die morphologische Adaptation – im Vergleich zu Jugendlichen und Erwachsenen – möglicherweise erst später einsetzt (Hartmann, et al, 2010). Kraemer und Fleck (2005) empfehlen im Sinne der Effektivität demgemäß einen Krafttrainingsplan mit ausreichend langem Zeitraum und angemessen schweren Gewichten. Diese Ansicht wird durch weitere Literatur unterstützt, in der für Hypertrophieeffekte im präpuberalen Alter intensive Belastungsreize über einen ausreichend langen Zeitraum empfohlen werden (Faigenbaum, 2003; Hollmann & Hettinger, 2000; Rowland, 2005, Tolfrey, 2007). Insgesamt geben die genannten Ergebnisse Anlass, den Hypertrophieeffekt auch im präpuberalen Alter nicht zu vernachlässigen. Zusätzlich müssen jedoch weitere Adaptationsmechanismen berücksichtigt werden. Diesbezüglich stellen Optimierungen auf nervaler Ebene einen wichtigen Mechanismus für die Erklärung von Kraftzuwächsen in Folge von Krafttraining dar. Hierbei sind gesteigerte Kraftwerte bei Kindern und Jugendlichen – ebenso wie bei Erwachsenen – insbesondere im Anfangsstadium auf eine verbesserte inter- und intramuskuläre Koordination zurückzuführen (Hartmann et al., 2010; Wirth et al., 2012a). Dies betrifft neben den Agonisten auch die – für die Gelenksicherung und Stabilisation zuständigen – Synergisten und Antagonisten einer entsprechenden Krafttrainingsübung. Während die Verbesserung der intermuskulären Koordination grob als ein motorischer Lerneffekt auf die Bewegungsausführung anzusehen ist, bedeutet eine Optimierung der intramuskulären Koordination eine gesteigerte Rekrutierung und Frequenzierung sowie eine Synchronisierung der motorischen Einheiten innerhalb eines Muskels (Hartmann et al., 2010). Der Aspekt der erhöhten neuromuskulären Anpassung in der präpuberalen Phase wurde u.a. in einer Übersichtsarbeit von Faigenbaum und Mitarbeitern (2015) unterstützt, in dem die genannte Entwicklungsstufe als eine unvergleichliche Gelegenheit für eine optimale neuronale Kraftentwicklung als Basis für spätere Spitzenleistungen angesehen wird.
Abschließend lässt sich festhalten, dass sich zum Einstieg in das Krafttraining mit Kindern und Jugendlichen niedrige Intensitäten und Volumina eignen, im langfristigen Leistungsaufbau aber nicht zu der notwendigen Adaptation führen und Übungen, in denen hohe Intensitäten realisiert werden können, erforderlich sind (Faigenbaum, 2017; Lesinski et al., 2016).
Belastbarkeit und Verletzungsgefahr
Neben den Auswirkungen auf Wachstumsprozesse, der Trainierbarkeit und der Effektivität soll abschließend die Belastbarkeit und Verletzungsgefahr beim Krafttraining mit Kindern und Jugendlichen angesprochen werden. Vorweg ist anzuführen, dass unter Berücksichtigung der Stoffwechselprozesse, neben der aeroben auch keine geringere anaerobe Belastbarkeit bei Kindern und Jugendlichen im Vergleich zu Erwachsenen vorliegt (Hartmann et al., 2010). Darüber hinaus ist in dieser Entwicklungsstufe die erhöhte Regenerationsfähigkeit nach intensiven Belastungen bekannt (Hartmann et al., 2010). In Bezug auf die muskuläre Beanspruchung in Folge von Krafttraining lässt sich bei Heranwachsenden ein geringeres Schmerzempfinden und eine niedrigere Kreatinkinasekonzentration nachweisen (Behringer et al., 2010; Hartmann et al., 2010). Demnach ist die Belastbarkeit der Muskulatur bei Kindern und Jugendlichen als vergleichbar anzusehen (Behringer et al., 2010). Dennoch muss die physiologische Konstitution bei der Belastungsgestaltung unbedingt beachtet werden, da insbesondere in Entwicklungsphasen mit hohen Längenzuwachsraten von einer geringeren Belastungstoleranz der passiven Strukturen ausgegangen werden kann (Hartmann et al., 2010). Ein weiterer wichtiger Aspekt ist es, das Krafttraining im Kontext der Gesamtbelastung zu sehen und dementsprechend Inhalte aufeinander abzustimmen, um eine Überlastung zu vermeiden. Die Befürchtung einer erhöhten Verletzungsgefahr der Epiphysenfugen kann wissenschaftlich nicht bestätigt werden (Behringer et al., 2010; Hartmann et al, 2010; Wirth et al., 2012a). Darüber hinaus besteht kein negativer Einfluss eines Krafttrainings auf die Beweglichkeit von Kindern und Jugendlichen (Hartmann et al., 2010). In einigen Studien konnten überdies Verbesserungen der Bewegungsamplitude in Folge von Krafttrainingsinterventionen konstatiert werden (Hartmann et al., 2010).
Unter Berücksichtigung der aktuellen Datenlage lässt sich ein gut konzipiertes und qualitativ hochwertiges Krafttraining – hierzu zählen insbesondere klassische Grundübungen – als eine sehr sichere Tätigkeit mit einer vergleichsweise (z.B. zu Sportarten wie Football, Fußball, Handball, usw.) sehr niedrigen Verletzungsinzidenz kennzeichnen (Faigenbaum et al., 2013; Hartmann et al., 2010; Kraemer & Fleck, 2005; Malina, 2006; Wirth et al., 2012a). Vielmehr ist die frühzeitige Implementierung von Krafttraining in den langfristigen Leistungsaufbau als eine notwendige Maßnahme anzusehen, um den Athleten auf die auftretenden Belastungsspitzen grundlegend vorzubereiten. Dies – traditionell bedingt – ausschließlich anhand von Ausdauertraining zu gewährleisten, ist unzureichend und ignoriert die positiven Effekte von Krafttraining auf die passiven und aktiven Strukturen von jungen Athlet:innen.